Wir bringen Licht in das „Un/Sichtbare Jena“

Alle reden von Digitalen Städten (Smart Cities), Dörfern und Landstrichen, von einer ominösen Digitalisierung und digitaler Bildung. Aber was heißt dies eigentlich konkret? Viele IT-Firmen haben hierfür natürlich schöne einfache Antworten: All dies sind schlicht neue Absatzmärkte für all die ach so „smarten“ Dienstleistungen und Produkte. Doch ist das auch das Interesse der BürgerInnen vor Ort?

Meistens wohl nicht! Denn gern wird vergessen vorher zu fragen, was eigentlich die unterschiedlichen Interessen der BürgerInnen dieser zukünftigen digitalen Orte so genau sind. Für welche Daten und Fragestellungen interessieren sie sich? Welche Daten sind klares Allgemeingut, welche sind für wen zu privat? Welche Daten können im Rahmen eines gemeinsamen größeren Zieles zweckdienlich sein? Wie schaffe ich eine maximale Transparenz, was mit diesen Daten zur Laufzeit wirklich passiert? Wie können BürgerInnen motiviert werden, nicht nur „befragter und vermessener Kunde“ einer kommerzialisierten Stadtverwaltung, sondern aktive(r) BürgerIn zu sein? Im Rahmen der Bewerbung Jenas im bitkom-Wettbewerb „Digitale Stadt“ hatten wir hierfür bereits „Sieben Thesen für ein nachhaltiges und bürgerfreundliches digitales Jena“ aufgestellt. Gewonnen hat Jena hierbei nicht. Es hat aber zumindest einiges in Jena in Bewegung gesetzt. Auf Antrag der Piratenpartei hat beispielsweise der Stadtrat im Frühjahr 2017 die Umsetzung eines Mängel- und Anliegenmelders beschlossen.

Design Thinking Ergebnisse beim Jenathon2
Design Thinking Ergebnisse beim Jenathon2

Mängel- und Anliegenmelder sind jetzt nicht wirklich etwas Neues. Hierfür gibt es einiges an fertiger Software und ein paar Firmen die sich hierauf spezialisiert haben. Aber wir als Bürger wollten ja gerade nicht einfach nur fertige Software von der Stange kaufen, sondern erst nach den Wünschen der späteren AnwenderInnen fragen. Erfreulicherweise hat es sich bei unserem zweiten Open Data und Design Thinking Hackathon (kurz: Jenathon) im November 2017 spontan ergeben, dass sich eine Gruppe BürgerInnen zusammen mit Oliver Mauroner (Professur für Management im Mittelstand an der Hochschule Mainz) zu einem Design Thinking Workshop rund um das Thema „Mängel- und Anliegenmelder“ gebildet hatte. Im Laufe des Hackathons sind hieraus viele konkrete Ideen und Papier-Prototypen entstanden wie aus BürgerInnensicht so ein Mängel- und Anliegenmelder aussehen könnte und welche Herausforderungen hierfür zu meistern wären.

Kommunikations- und Weltanschauungsprobleme
Kommunikations- und Weltanschauungsprobleme

Schnell fällt auf, dass „Stadt“ aus dem Blickwinkel der Stadtverwaltung eigentlich was ganz anderes ist als „Stadt“ aus den Blickwinkeln der verschiedensten Subgruppen der städtischen Bevölkerung. Allein die Antwort auf die schlichte Frage auf wessen Grundstück ein wilder Müllhaufen so genau liegt kann mitunter recht schwierig werden. Welche Offenen Daten über die Stadt könnten hier helfen sinnvolle automatische Klassifizierungen und Weiterleitungen an die wirklich Zuständigen zu realisieren? Schließlich soll der Mängelmelder mehr sein als nur eine digitale Postkarte an das Mängelmeldeamt. Wie lässt sich ein Mangel bei beweglichen Dingen wie beispielsweise einer Straßenbahn erfassen und mögliche Doppelmeldungen automatisch zusammenfassen? Wie erhalte ich automatisch Mängelmeldungen (Baustellen, Fahrplanänderungen, Stadtfeste, etc.pp) für meinen täglichen Weg zur Arbeit oder in der Freizeit? Wie erhalte ich Informationen über den aktuellen Bearbeitungsstand meiner Mängelmeldung?

Auch das ist Design Thinking
Auch das ist Design Thinking

Neben diesen eher anwendungsorientierten Herausforderungen wurden aber auch einige soziologische Fragestellungen aufgeworfen: Wie geht man mit dauernörgelnden BürgerInnen um? Wie geht man damit um, dass ein Mangel in den Augen des einen, eher ein Vorteil in den Augen anderer ist? Was wenn sich zu einem gemeldeten Mangel hitzige Diskussionen ergeben? Was wenn ich einen Mängel- und Anliegenmelder innerhalb meines (Kleingarten-)Vereins, meiner Schule, meiner Firma verwenden will, gewisse Informationen intern bleiben und andere mit dem allgemein zugänglichen Mängelmelder der gesamten Stadt geteilt werden sollen (Transparenz vs. Datenschutz)? Wie könnten beispielsweise die (Bau-)Vorhaben des Stadtentwicklungsdezernates in den Mängel- und Anliegenmelder integriert werden, so dass BürgerInnen viel früher informiert und viel niederschwelliger in Bürgerbeteiligungsverfahren einbezogen werden können? Wie könnte Zugang und Feedback zu Offenen Daten unterschiedlichster Datenherausgeber vereinfacht werden, damit so manche Diskussion wieder weniger auf Grund von alternativen Weltanschauungen einzelner BürgerInnen, sondern wieder mehr auf einem sachlicheren Boden messbarer und nachvollziehbarer Tatsachen gestellt werden können?

Dies sind sicherlich eine Menge Anforderungen, aber in dieser schieren Grenzenlosigkeit eines solchen Mängel- und Anliegenmelders in einer Digitalen Stadt versteckt sich auch eins: Ein wunderbare Vision für eine digitale Stadt welche man noch jahrelang (weiter-)entwickeln und andere städtische Vorhaben daran ausrichten kann. Auch wird schnell klar, dass so ein Projekt mit klassischen IT-Ansätzen, Closed Source, Datensilos, seitenlangen Verträgen für proprietäre Schnittstellen mit wenigen qualitativ fragwürdigen Datensätzen ohne Feedback-Schnittstellen und der Langsamkeit von Standardisierungsprozessen schlicht garantiert gescheitert wäre. In diesem Sinne kann ein Mängel- und Anliegenmelder vielleicht auch helfen die bislang immer nur zögerlichen und vereinzelten Freigaben von Daten in der städtischen Verwaltung, aber auch in kommunalen Tochtergesellschaften und nicht zuletzt auch in der Privatwirtschaft zu beschleunigen. Viele in Jena sind beispielsweise über den in den nächsten Jahren zu erwartenden Bauboom und Bevölkerungszuwachs besorgt und fürchten nicht nur ein ewiges Verkehrschaos, sondern auch Umsatzeinbußen für die kleinteilige innerstädtische Wirtschaft. Könnte hier ein Mängel- und Anliegenmelder helfen Informationen besser und effizienter an alle zu verteilen?

Eine besondere Personengruppe für unser Projekt sind SchülerInnen und die digitale Kommunikation von Anliegen an Schulen. Nicht nur gibt es im Kontext von Schulen und Schulwegen, besondere Anforderungen an den Datenschutz, auch erwarten wir hier die interessantesten Anregungen wenn es um das Design von gruppen- und anwendungsspezifischen Benutzerschnittstellen geht. Hierfür konzipieren wir zusammen mit dem witelo e.V. Workshops um die Ideen von Mängel- und Anliegenmeldern, Offenen Daten, digitalen Karten (Open Street Map) und Grundzüge der Softwareentwicklung SchülerInnen aus ihrem Lebensumfeld heraus näherbringen zu können.

Dies ist der erste Artikel unserer kleinen Artikelserie. In weiteren Blogbeiträgen werden wir genauer auf die angedachte verteilte Softwarearchitektur, Datenschutzaspekte und Schnittstellen zu anderen Mängelmeldern z.B. dem geplanten Mängelmelder der Stadtverwaltung, denen der Deutschen Bahn, dem Radwege Mängelmelder der Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie (TLUG), aber auch zu Projekten wie FragDenStaat, eingehen. Desweiteren wird es sicherlich nach unseren ersten Workshops mit SchülerInnen und BürgerInnen vieles zum Nachdenken, Überarbeiten und Revidieren geben… 🙂

Titelbild: (c) by MapBox and OpenStreetMap