Wie eine Hand die and’re wäscht – Demokratie und Digitalisierung

Obwohl der Gedanke, Digitalisierung stärker in Bildung zu verankern, sich zum Glück immer mehr durchsetzt, scheint er immer noch oft als Selbstzweck wahrgenommen zu werden. Demokratie.io möchte Digitalisierung und Demokratieförderung stärker zusammenbringen – und das nicht zufällig. Es ist wieder und wieder notwendig, heraus zu arbeiten, warum Demokratie und Digitalisierung nicht einfach nur wesensverwandt sind, sondern einander direkt bedingen und untrennbar verbunden sein müssen. Ich möchte das im Folgenden am Beispiel der aula App tun.

Die aula App ist dafür da, SchülerInnen verbindlichen demokratischen Einfluss auf ihre eigene Schule zu gegeben und sie zu GestalterInnen derselben zu machen. Immer wieder werden wir von LehrerInnen gefragt, warum wir dafür eine Onlineplattform brauchen. Es gibt doch schon Klassensprecher. Und würde für Ideen nicht auch ein Zettelkasten funktionieren? Und Diskutieren kann man doch auch auf dem Pausenhof. Braucht es diese mühselige Hürde von digitalen Mitteln überhaupt, bloß weil Digitalisierung gerade en vogue ist?

Das Digitale ist demokratisch

Die aula Onlineplattform existiert nicht deswegen, weil Digitales gerade cool ist. Natürlich findet zurzeit ein Großteil der politischen Debatte im Internet statt und wir tun gut daran, SchülerInnen darauf vorzubereiten. Bei aula haben sie in einem geeigneten Raum und didaktisch begleitet die Möglichkeit, erfolgreiche und problematische Diskussionsstrategien zu erkunden und Verhaltensregeln zu entwickeln.

Außerdem schließen sich durch die Verwendung so eines digitalen Werkzeugs viele Fragen in der Klasse an, anhand derer man den generelleren Gebrauch digitaler Kanäle besprechen kann; Themen wie Passwortsicherheit, Bildrechte, Nutzungsbedingungen und so weiter kommen mit praktischen Beispielen in den Klassenraum.

Doch das ist nicht alles. Denn gerade die digitale Plattform ermöglicht demokratische Prozesse, die ohne sie einfach völlig unmöglich sind.

Erstens macht sie Diskussionen für alle nachvollziehbar, auch für die, die nicht da waren. Alles ist jederzeit nachlesbar und hat so eine größere Verbindlichkeit. SchülerInnen können sich schulweit austauschen, ohne sich in der realen Aula versammeln zu müssen oder lediglich VertreterInnen zu entsenden.

Zweitens strukturiert ein geeignetes digitales Werkzeug einen Diskurs. Facebook ist dafür ein sehr schlechtes Beispiel, denn in den Kommentaren von Facebook kann eine Diskussion ewig gehen und regt zu emotionaler Erregung und Beleidigungen an. Aber ein Instrument wie aula, das eine Brainstorming-Phase hat, eine Diskussionsphase, eine Prüfungs- und eine Abstimmungsphase, bietet für jede Diskussion einen Anfang und ein natürliches Ende, an dem eine praktische Umsetzung steht. So erleben SchülerInnen direkt die Früchte ihrer Arbeit.

Drittens ermöglichen digitale Tools uns Demokratieformen, die jenseits von direkter oder repräsentativer Demokratie stehen. Es war Lewis Carrol, der 1884 erstmals die Liquid Democracy beschrieb, in der ein jeder selbst abstimmen könnte oder seine Stimme an jemand anderen übertragen. In der Praxis konnte diese Form nicht umgesetzt werden. Zu unübersichtlich wäre ein Prozess, in dem die Stimmübertragung, -weiterübertragung oder -rücknahme jederzeit passieren könnten. Seit 2002 hat diese Idee allerdings eine Renaissance erfahren und wird jetzt aktiv erforscht. Denn vernetzte Computer geben uns die Übersicht und Kontrolle über diesen Prozess, der es ermöglichen könnte, demokratischere und klügere Gruppenentscheidungen zu treffen. Auch Liquid Democracy kommt bei aula zum Einsatz und ermöglicht selbst beschäftigten oder passiveren SchülerInnen, ihre Stimme nicht verloren zu wissen und manchmal eben doch selbst zu nutzen.

Das Web 2.0 an sich, in dem jeder Benutzer nicht nur Konsument, sondern auch Erschaffer ist, versprach uns eine Demokratisierung des Diskurses. Jeder hatte plötzlich eine Stimme. Es zwar zweifellos naiv anzunehmen, dass das automatische Resultat sofort eine egalitärere Gesellschaft sein würde. Dazu fehlen neben der Infrastruktur des Internets noch andere Voraussetzungen. Man braucht nicht nur eine Stimme, sondern auch die Fähigkeiten, sie sinnvoll einzusetzen und das Bewusstsein für ihre Wirkung auf Andere. Demokratie muss gelernt werden, das bleibt auch im digitalen Zeitalter wie gehabt. Aber die Digitalisierung gibt uns dafür ebenso viele neue Möglichkeiten wie Herausforderungen.

Das Demokratische fördert die Digitalisierung

Ein Aspekt, der seltener erwähnt wird, ist, dass demokratische Partizipation notwendig für den Prozess der Digitalisierung ist. Das gilt für die Gesellschaft als Ganzes, aber auch für die Subkultur der Schule. Hier in der Schule bringt Digitalisierung die Herausforderungen, dass SchülerInnen oft besser über die Vielfalt digitaler Werkzeuge informiert sind als ihre LehrerInnen. Die klassische Wirkungsrichtung von LehrerIn zu SchülerIn ist hier nicht mehr gegeben; LehrerInnen sind oft angewiesen auf das überlegene Wissen ihrer Schutzbefohlenen. Darin liegt aber gerade ein großer Vorteil. Denn mündige BürgerInnen brauchen schon früh im Leben die praktische Erfahrung von Verantwortung. Klassischerweise war Schule sparsam damit, diese praktische Erfahrung zu gewähren. Doch im Prozess der digitalisierung sind wir auf die Hilfe der SchülerInnen angewiesen.

Nicht nur die größere Gewohnheit der Nutzung solcher Werkzeuge ist ein Grund, möglichst alle SchülerInnen in den Digitalisierungsprozess zu involvieren. Vor allem ist es die Tatsache, dass es eine tiefgreifende Änderung ist und tiefgreifende Änderungen mit allen ihren Regeln viel besser akzeptiert werden, wenn man selbst an dem Prozess beteiligt ist.

In den aula-Schulen drehten sich viele der ersten Ideen der SchülerInnen zur Veränderung ihrer Schule gerade um das Thema der Digitalisierung. Verbindliche und nachvollziehbare Smartphone-Regeln wurden gefordert. Wann und wo dürfen wir das Gerät für welche Zwecke nutzen? WiFi wurde verlangt oder bestimmte Sperren darauf kritisiert. Eine Schule hatte etwas Geld gesammelt und hatte die Idee, ihre LehrerInnen von diesem Geld auf eine Fortbildung im Umgang mit Smartboards zu schicken (“Weil die uns sonst immer fragen!”). An einer anderen Schule wurde ein Smartphone-Tag eingeführt; also ein Tag, an dem alle LehrerInnen in ihrem Unterricht das Smartphone didaktisch nutzen müssen. Das war für viele KollegInnen erstmal eine Herausforderung. Aber über Twitter wurden gemeinsam bei LehrerInnen deutschlandweit Ideen gesammelt und am ersten Smartphone-Tag viele neue Konzepte ausprobiert. Der Werkzeugkoffer der LehrerInnen wurde größer.

Wenn wir an die weitreichenden Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesellschaft insgesamt denken, also die Revolution des Arbeitsmarktes durch Automatisierung, die Änderung von Gesundheitssystemen, von Erinnerungskultur, von Überwachung etc… , dann wird klar, dass wir alle Menschen in diese gesellschaftlichen Diskurse involvieren müssen. Denn wenn wir nicht den schwierigen und langen demokratischen Prozess auf uns nehmen, wenn wir einzelne Unternehmen oder Regierungen über die Gestaltung der Zukunft entscheiden lassen, müssen die Menschen sich im Resultat abgehängt fühlen, unzufrieden, machtlos. Drang zu Populismus auf der einen Seite, Rückzug ins Private auf der anderen Seite wäre die Folge – Auswirkungen, deren Anfang wir bereits sehen.

Das ist also, bestätigt durch unsere eigenen praktischen Erfahrungen, eine Ermunterung dazu, die Digitalisierung für Demokratie zu nutzen – und die Demokratie für die Digitalisierung.