Typ, hör zu! – Ein Plädoyer für eine inklusivere Diskussionskultur

Alles voll gleichberechtigt?! Sehen wir leider nicht so. Warum wir eine Diskussionskultur brauchen und was digitale Räume damit zu tun haben, lest ihr hier!

Der 8. März ist Internationaler Frauentag. Seit diesem Jahr ist der Tag im Bundesland Berlin ein arbeitsfreier gesetzlicher Feiertag – ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Der 8. März erlangte seine Bedeutung als Frauentag bereits vor dem ersten Weltkrieg. Sozialistische Organisationen nutzten ihn, um sich für das Frauenwahlrecht, für mehr Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau sowie für die Emanzipation von Arbeiter*innen einzusetzen. Sind wir jetzt mit der Gleichberechtigung durch? Werfen wir doch mal einen kleinen Blick auf unsere heutige Diskussionskultur…

Monologe statt Diskussion

Im Januar nahm ich an einer Veranstaltung zum Thema gesellschaftlicher Zusammenhalt teil. Ich freute mich: Das Podium und die geladenen Gäste wurden von Männern und Frauen gleichermaßen repräsentiert, die Moderation machte einen guten Job, alle abwechselnd einzubinden. Diese Momente schätze ich sehr, denn längst ist nicht selbstverständlich, was selbstverständlich sein sollte: Dass auch Frauen auf dem Podium sitzen und etwas zu sagen haben können. Als die anschließende Fragerunde kam, galt die altbewährte Regel first come, first serve: Die Personen, die es gewohnt sind, sich schnell, gebildet und eloquent vor einer Menge an Menschen zu äußern, ergreifen das Wort – im wahrsten Sinne des Wortes. Dann noch mit Fragen dazwischen zu kommen, wenn die Diskussion längst in Fachtermini und Stellungnahmen abgerutscht ist, ist sehr schwierig.

Das betrifft nicht nur Frauen, auch wenn rede-dominantes Verhalten immer noch mit vermeintlich starker Männlichkeit gleichgesetzt wird, sondern alle Menschen, die das „window-of-opportunity“ von 0,35 Sekunden nach der Öffnung der Diskussion nicht wahrgenommen haben: Weil sie noch nachdenken, weil sie schüchtern sind, weil sie Angst haben, eine dumme Frage zu stellen, weil sie die Frage erst in ihrem Kopf in die benutzte Sprache übersetzen müssen, weil sie introvertiert sind, weil sie es nicht gewohnt sind, vor so vielen Menschen zu sprechen, weil sie sich nicht für relevant oder wichtig halten oder weil sie schlichtweg in dieser Sekunde nicht aufgepasst haben. In diesem Fall bat die Moderation nach dem window-of-opportunity um Redebeiträge vom jüngeren und/oder weiblichem Publikum. Jackpot! Das bin ich! Ich meldete mich, die Moderation strahlte.

Es scheint etwas Besonderes zu sein, sich als junge Frau in öffentliche Diskussionen einzubringen. Im öffentlichen Diskurs sind die Stimmen der (älteren) Männer immer noch lauter. Diese werden gehört. Und wenn ich schon schwer gehört werde – als deutsche, weiße Akademikerin – wer wird dann gar nicht gehört? Und was sagt das über unsere Demokratie aus?

Wie ist es um unsere Diskussionskultur bestellt?

Zu einer guten demokratischen Diskussionskultur (auch Streitkultur) gehört  wechselseitiger Respekt und die Bereitschaft seinem Gegenüber zuzuhören. Das wichtigste aber ist, auch  gegenteilige Meinungen zuzulassen und auf diese einzugehen. Meist treten drei grundlegende Probleme auf, die eine gute Diskussion erschweren: 1) es beteiligen sich häufig die gleichen Personen aus dem Publikum 2) lange Redebeiträge machen eine Diskussion sehr eintönig und 3) häufig sind Diskussionen viel zu kurz.

Letzteres beflügelt die ersten beiden Probleme. Es folgt, dass eine Diskussion von wenigen Redner*innen (meist männlich) bestimmt wird, die eher dazu neigen dominant aufzutreten und sich dadurch Redeanteile aneignen – ungeachtet der Tatsache, dass sie dadurch anderen die Möglichkeit verwehren, ihre Meinung einzubringen. Zusätzlich werden Menschen, die ohnehin schüchtern sind oder nicht den Mut haben, sich zu beteiligen, dann besonders vernachlässigt.

Eine Diskussion sollte hingegen als Balanceakt verstanden werden, die darauf abzielt eine Ausgewogenheit von Argumenten zwischen den diversen Teilnehmer*innen einer Diskussionsveranstaltung herzustellen. Genauso wie unsere Demokratie: Sie lebt von der Vielfalt diverser Stimmen, sie machen Demokratie lebendig.

Digitale Räume schaffen für mehr Teilhabe

Wir von Liquid Democracy e.V. wollen diese Vielfalt sichtbar machen. Deshalb entwickeln wir seit Januar 2019 das Projekt „SpeakUp“ im Rahmen des Bundesprogramms Demokratie leben!, das vom Bundesministerium für Senioren, Familie, Frauen und Jugend und von der Robert Bosch Stiftung gefördert wird.

Die Idee ist, dass während einer Veranstaltung über Smartphones live Fragen gestellt werden können, die für die Moderation einsehbar sind. Dies nimmt die Barriere, etwas öffentlich sagen zu müssen und eröffnet einen „safe-space“ für nicht-rededominante Menschen. Gleichzeitig werden zu den Fragen Merkmale (z.B. Geschlecht, Bildung, etc.) angezeigt, die die fragende Person selber auswählt. Damit soll es der Moderation erleichtert werden, eine balancierte Diskussion zu führen, denn sie kann Fragen von unterrepräsentierten und nicht-rededominanten Menschen bewusst in die Diskussion integrieren. Damit soll SpeakUp dazu beitragen, diverse Perspektiven sichtbar und Diskussionen inklusiver und leichter zugänglich zu machen.

Gehört werden – der 8. März als gesetzlicher Feiertag ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Auch wenn dadurch Frauen nicht unmittelbar mehr Gleichberechtigung erfahren, trägt der Feiertag dazu bei, ein Bewusstsein für geschlechtliche Ungleichheit zu schaffen. Es stehen noch weitere Ungleichheiten vor der Tür. Mit SpeakUp wollen wir einen Beitrag dazu leisten, auf dominante Redner*innen aufmerksam zu machen und nicht-dominante Redner*innen zu Wort kommen zu lassen – für eine inklusivere Diskussionskultur.